Meine Lebensgeschichte
von
Tatjana Bangerter
„Ich fühle mich geborgen im Hier und Jetzt.“
Ja, es braucht Mut, die eigene Geschichte aufzuschreiben. Umgehend stellen sich mir Fragen in den Weg: Was gibt es denn da schon zu erzählen? Wen interessiert das? Und doch packt mich die Lust, es auszuprobieren. Vielleicht gelingt es mir Impulse zu setzten oder jemanden zu inspirieren, Mut zu machen? Wieder einmal hat mein Herz über den Verstand „gesiegt“.
Mein Herz schlägt für die Menschen. Noch präziser: Für die Seele im Menschen. Ich bin überzeugt, in der Seele jedes Menschen ist sein Herzensweg eingraviert. Und so viele Menschen, wie es gibt, so viele Wege gibt es. Das ist es, was mich berührt, was mich neugierig macht und was mich zu „The Story of My Life“ geführt hat.
Wer bist Du – im Wahren, tiefen Sein?
Ich bin – nur das. Ein Mensch, der seine Seele gefunden hat. Nicht mehr und nicht weniger.
Mein Leben hat mich zwei wunderbare Dinge gelehrt:
1. Dort, wo meine grösste Angst liegt, dort ist auch meine größte Kraft verborgen.
2. Das Leben meint es gut mit mir – immer. Was nicht heißt, dass es nur einfach und schön ist.
Meine größte Angst ist es, mich zu zeigen. Genau so, wie ich bin. Meine Herzlichkeit, meine Verletzlichkeit, meine Berührbarkeit, meine Direktheit, mein loses Mundwerk, meine Schnelligkeit, meine Kraft, mein Selbstbewusstsein, mein Unwissen, meine Weisheit, meine Neugier, meine Wut, meinen Neid. Es könnte ja sein, dass mich jemand verurteilt, sich von mir abwendet, mir seine Liebe entzieht und ich am Ende ganz alleine bin.
Ganz alleine und einsam zu sein, das war für mich immer die schlimmste Vorstellung. Diese Angst hat mich zu mir geführt. Zu meiner Kraft, zu meinem Licht und am Ende zu meinem Sein. Ich durfte erfahren, dass ich nie alleine bin, dass ich mich habe. Dass, wenn ich mich zeige, voll und ganz in die Hände meines Herzens begebe, sich Türen auftun, die mich zu mir führen. Zu meiner Seele. Zu meinem Wahren Sein, das ich als Liebe und Dankbarkeit im Herzen wahrnehme.
Ich bin in einem Hotel aufgewachsen, wo ich eine spannende Kindheit unter vielen Menschen verbrachte. Mir wurde von Klein auf beigebracht, wie man zu sein hatte, um nicht unangenehm aufzufallen und damit es den Gästen wohl ist. Zuerst kamen die anderen. Eine Selbstverständlichkeit, die ich als Kind kaum je in Frage gestellt habe.
Als Jüngste von vier Geschwistern, wuchs ich behütet und zugleich selbständig auf. Ich liebte es, Menschen zu beobachten und ich war froh, dass immer jemand da war zum Reden. Wenn mir langweilig war, habe ich mich meinem Tagebuch gewidmet und Geschichten geschrieben. Noch mehr Zeit habe ich mit dem Lesen von Büchern verbracht. Das liebte ich, Zeit nur für mich zu haben und abzutauchen in eine andere Welt. In meinem Bett, mit den Nasen zwischen den Buchseiten, fühle ich mich geborgen.
Ich habe gut dafür gesorgt, dass ich nie alleine war. An meinen freien Nachmittagen arbeitete ich im Basler Zolli oder ging reiten. Ich liebte es, von Tieren umgeben zu sein und mich um sie zu kümmern.
Eines Tages, mit etwa 11 Jahren, hatte ich auf dem Heimweg vom Zolli ein wunderbares Erlebnis. Mein Verstand wusste sofort: „Ah, da spiegelt sich die Sonne in den Zugschienen und blendet mich.“ Mein Herz wusste: „Oh, da ist ganz viel Licht in mir, das mich nun ganz einhüllt und mir zeigt, du bist nicht alleine und da ist eine ganz große Kraft in mir“. Diese Kraft konnte ich in den kommenden Jahren gut gebrauchen.
Meine Legasthenie, mein Bettnässen und mein Daumenlutschen noch in der Schule, haben mir viel Spott eingebracht. Doch eine wunderbare Lehrerin, die sich meiner angenommen hat, ließ mich wissen: „Du bist schlau, du brauchst nur etwas Aufmerksamkeit und Zuneigung“. Das hat sich mir tief eingeprägt: „Es gibt Menschen, die erkennen mich, nehmen mich wahr, schauen direkt in mein Herz und helfen mir! Ich muss nicht alles alleine können“.
Ich bin ein Scheidungskind, was meine Selbständigkeit noch einmal verstärkt hatte. Es war der Beweis für mich, dass auf „die Anderen“ kein Verlass ist. Meine Eltern hatten wenig Zeit für mich, da sie manchmal rund um die Uhr im eigenen Betrieb arbeiteten und jetzt ließen sie sich auch noch scheiden. Da hat sich fest in meinen Verstand eingebrannt, dass ich selber für mich sorgen muss.
Früh stand ich auf eigenen Beinen und ging meinen Weg, ohne jemanden groß um Rat zu fragen oder um Hilfe zu bitten. Ich hatte Vertrauen ins Leben und war neugierig, was hinter der nächsten Ecke auf mich wartet. Da ich Zahlen mag, habe ich eine kaufmännische Lehre gemacht. Plötzlich machte die Schule wieder Spaß und ich entschied mich dazu die höhere Wirtschafts- und Verwaltungsschule zu besuchen. In dieser Zeit habe ich sehr viel Sport getrieben und mir – neben dem Studium – mit einem Job als Aerobicinstruktorin im Fitnesstudio und in einem Café Geld verdient. Ich liebte diese Selbständigkeit. Liebte es, mein Leben im Griff und Pläne zu haben. Das gab mir das Gefühl von Unabhängigkeit und Sicherheit. Doch manchmal spürte ich eine grosse Einsamkeit in mir und fragte mich, wovor ich auf der Flucht bin.
Immer wieder habe ich die Arbeitsstelle gewechselt, ich wollte hoch hinaus. Richtig viel Geld verdienen und dort sein, wo es fast nur Männer gab – in der Chefetage. Ich war zielorientiert, wollte die Kontrolle haben … Deshalb habe ich gleich nach dem Studium mit der Ausbildung zur Wirtschaftsprüferin angefangen. Diese Entscheidung machte meinen Verstand stolz und mein Herz unglücklich. Ich fühlte mich unwillkommen, mich störte der Argwohn in dieser Branche.
Ich beschloss, auf mein Herz zu hören: Mir fehlten die Menschen, also habe ich auf Marketing umgesiedelt. Im Produktmanagement gefiel es mir. Ich merkte, das Wohl der Menschen war mir wichtiger als Karriere. Am liebsten kümmerte ich mich um Produkte für die Gesundheit. Doch die innere Unruhe blieb.
Ein Segelturn veränderte mein Leben. Die Liebschaft mit dem Kapitän brachte mich nach Interlaken, wo ich das Gleitschrimfliegen entdeckte und später meinen zukünftigen Mann kennen lernte. Ich brach meine Zelte in Basel ab, kündigte meinen 100%-Job im Marketing und beschloss, mich der Fliegerei zu widmen und nur noch Teilzeit zu arbeiten. Ich fühlte mich frei und mein Herz machte Luftsprünge. Ich war überzeugt, dass ich endlich angekommen bin in meinem Leben. Ich wollte einfach nur sein. Mit netten Menschen zusammen sein, Reisen, Fliegen und nebenher Geld verdienen. So konnte es ewig weitergehen. Dann hatte ich auf La Palma (E) einen Gleitschirmunfall und landete mit einem komplizierten Beinbruch im Spital. Mein Schutzengel hat gut auf mich aufgepasst und ich war dankbar, dass ich lebte und noch gehen konnte. Ich beschloss, mit dem Fliegen aufzuhören und mich wieder mehr der Arbeit zu widmen.
Noch heute frage ich mich oft, weshalb es zu diesem Unfall kommen musste, was das Leben mir damit zeigen wollte. Vielleicht, wie sehr ich es liebte und etwas daraus machen wollte? Das Jobangebot in der Innovationsberatung mochte mich nicht lange befriedigen und wieder war ich auf der Suche nach meiner Aufgabe, dem Sinn in meinem Leben. Dafür hatte ich die Liebe meines Lebens gefunden.
Nachdem unsere zwei Mädchen auf der Welt waren pausierte ich zwei Jahre mit der Arbeit. Ich genoss diese Familien-Zeit sehr und doch sehnte ich mich bald wieder nach anderen Menschen und nach den Zahlen. Die ersten Monate als Projektleiterin in der Marktforschung waren aufregend, die Arbeit machte mir Spaß. Die Familienarbeit teilte ich mir mit meinem Mann, von Doppelbelastung keine Spur. Und wieder ging es nicht lange, da machte sich ein ungutes Gefühl in mir breit: „Da fehlt etwas“. Durch die Nähe zu meinen Kindern, durch das Erleben einer Familie kam bei mir nach und nach der Wunsch auf, näher bei den Menschen zu sein. Mich nützlich zu machen und Menschen zu berühren. Meine Herzlichkeit ließ sich nicht mehr von meiner harten Schale beeindrucken. Sie wollte gelebt werden. Wärme spenden. Geborgenheit vermitteln.
Eines Tages kam mein Mann von einem Besuch bei einem Kinesiologen Heim und er meinte: „Da musst Du auch mal hin, der Typ ist cool“. Meine Neugier war geweckt. Ich habe es ausprobiert und bin nicht mehr davon los gekommen – von der Kinesiologie meine ich. Zwar habe ich manchmal noch Migräne (der damalige Behandlungsgrund), doch heute sehe ich sie als eine wertvolle Begleiterin, zeigt sie mir doch, wenn ich (wieder mal) mit dem Kopf durch die Wand will. Zweifel machten sich breit, ob ein neuer Beruf, mit anschliessender Selbständigkeit wirklich vernünftig sei. Das Studium dauerte vier Jahre, kostete eine Menge Geld und eine Erfolgsgarantie war nicht dabei. Ich hatte Angst vor dem Versagen und doch sehnte ich mich nach diesem Neuen, danach, dass es vielleicht das ist, nachdem ich schon die ganze Zeit suchte.
Nach einer dreimonatigen Reise mit der ganzen Familie im Wohnmobil durch Marokko, war der Entschluss klar: Ich änderte meinen Beruf und fing nochmals ganz neu an. Heute weiß ich, auch da bin ich dem Ruf meines Herzens gefolgt. Eine weise Entscheidung.
Seit 2009 führe ich erfolgreich eine Praxis für Kinesiologie und Coaching in Burgdorf, bei Bern in der Schweiz. Die Praxis heißt „rundum gsund“ und ich liebe meine(n) Beruf(ung). Mein Mann und ich teilen uns nach wie vor die Familienarbeit und ich genieße die Flexibilität meiner Selbständigkeit.
Früher hätte ich mich als Zahlenmensch und verstandesorientiert beschrieben. Heute weiß ich, es war schon immer mein Herz, welches die Führung in meinem Leben hatte.
Mein Leben zeigt mir, es meint es gut mit mir. Immer. Das WAS (Was ist meine Aufgabe? Wofür lebe ich?) steht in meinem Herzen, in meiner Seele geschrieben, doch beim WIE (Wie möchtest Du das WAS erfüllen?) haben wir die Wahl. In jedem Augenblick dürfen wir uns immer wieder neu entscheiden, wie unserer nächster Schritt aussieht, wie wir unser WAS leben möchten.
Seit ich mich dazu entschlossen habe, mein Leben ganz bewusst in die Hände meines Herzens zu legen und meiner Seele zu folgen, ist mein Leben leichter geworden. Ich fühle mich geborgen im Hier und Jetzt und bin neugierig, was um die nächste Biegung für ein Wunder auf mich wartet.
Ich habe endlich das WAS gefunden:
“Ich liebe das Leben und die Menschen. Ich erfahre mich in Begegnungen mit Menschen und der Natur. Und ich möchte Menschen in anspruchsvollen Situationen achtsam und respektvoll begleiten.”
Was möchtest du dem Leser, der Leserin mitgeben?
„Du bist wunderbar, so wie Du bist. Ohne wenn und aber. Erkenne Dich selbst, höre auf Deine Seele. Du trägst alles, was Du wissen musst in Dir.“
Und ich möchte den Menschen Mut machen. Sie ermutigen auf ihr Herz zu hören, ihren Herzensweg zu gehen. Ihnen Mut machen, sich selber zu begegnen. Die Seele wahrzunehmen und zu erfahren, wer sie wirklich sind.
Mein Leben zeigt mir, Umwege sind wertvolle Erfahrungssammelplätze. Das Leben gibt uns die Möglichkeit, die Erfahrungen zu sammeln, die unser Fähigkeiten und Stärken ans Tageslicht bringen. Erfahrungen, die uns unseren Ängsten und somit Stärken begegnen lassen und den Weg zu unserem Kern freilegen. Dem Kern, der aus der Quelle entspringt, dem Stoff, aus dem wir alle gemacht sind.